16. Kapitel
Lea schlug benommen die Augen auf und blinzelte im grellen Licht. Ihr Kopf fühlte sich ganz wattig an. Wie war sie hierhergekommen? Und wo war überhaupt ›hier‹?
Eins wusste sie: Sie saß aufrecht auf einem Stuhl, denn sie konnte das warme Holz der Stuhllehne unter ihren Fingern fühlen. Ihr Magen knurrte laut. Es war Ewigkeiten her, seit sie zuletzt etwas gegessen hatte.
»Haben Sie Hunger?«
Lea drehte den Kopf nach links. Dort, nicht weit von ihr, saß ihr Angreifer auf dem geblümten Sofa und musterte sie besorgt. Der Gedanke an Flucht keimte in ihr auf, aber sein Gesichtsausdruck verwirrte sie. Er hatte so freundliche Augen ... blaue Augen, wie Adam, ein wenig heller, aber genauso freundlich.
»Lea, geht's dir gut?«
Das war Liams Stimme. Schlagartig fiel ihr wieder alles ein. Sie versuchte aufzustehen, und da merkte sie, dass der Mann sie mit einem Bademantelgürtel an den Stuhl gefesselt hatte.
Sie riss den Mund auf...
»Bitte nicht schreien! Ich soll Sie doch beschützen!«
Beschützen? Hielt er sie für so dumm? Sie hatte gute Lust, einfach nur drauflos zu schreien, aber ihre Empörung gewann die Oberhand. »Sie hätten mich fast erwürgt!«
»Tut mir schrecklich leid. Aber Sie wollten sich einfach nicht beruhigen, und ich durfte doch nicht zulassen, dass Sie mir das ganze Hotel zusammenschreien. Es war zu Ihrem eigenen Besten ...«
Zu ihrem eigenen Besten? Der Kerl erschreckte sie zu Tode, zu ihrem eigenen Besten?
»Ich glaube ihm«, bemerkte Liam.
»Du schlägst dich auf seine Seite?«, fragte sie. Sie schaute in die Richtung, aus der seine Stimme gekommen war, und fühlte sich seltsamerweise wirklich verletzt. Dieser Tag wurde immer verwirrender, und sie wünschte sehnlichst, dass wenigstens irgendetwas heute noch Sinn ergab. Ein Geist, der zu Besuch kam und sie bat, seine Leiche zu suchen, damit er Frieden finden konnte, Vampire, die sie zu Tode erschreckten mit ihren Fangzähnen, Killer, die versuchten, ihr in den Rücken zu schießen ... War heute denn gar niemand auf ihrer Seite?
»Du hast selbst gesehen, dass er versucht hat mich zu erwürgen! Erst brüllst du mir zu, ich soll wegrennen, und dann glaubst du ihm?«
»Ich weiß, ich weiß. Aber er hat dich nicht erwürgt, oder? Wenn er dir wirklich etwas hätte tun wollen, dann hätte er es längst gemacht - außerdem hat er dich ganz vorsichtig gefesselt!«, argumentierte Liam.
Bevor Lea eine angemessene Antwort darauf hätte finden können, geschah etwas Seltsames. Ihr Möchtegern-Killer stand plötzlich auf, trat zu ihr und legte beide Hände an ihr Gesicht. Voller Sorge schaute er ihr in die Augen.
»Sie haben sich doch nicht etwa den Kopf angeschlagen, oder? Mann, Murray wird mich umbringen!«
Lea musste ein paar Mal blinzeln. Grober Klotz oder nicht, er sah definitiv attraktiv aus - und aus dieser Nähe war die Wirkung umso stärker. Moment mal, hatte er gerade Murray gesagc?
»Adam hat Sie geschickt?«
Der Mann nickte, ließ aber weder ihr Gesicht los, noch hörte er auf, sie besorgt anzuschauen.
»Er hat um Backup gebeten. Ich weiß nichts, außer dass ich herkommen und Sie beschützen soll. Obwohl, mittlerweile bin ich mir nicht mehr so sicher, dass Sie überhaupt Schutz brauchen.«
Er grinste ein wenig. Sein Lächeln war ein klein bisschen schief, nicht so perfekt, so unwiderstehlich wie Adams.
Trotzdem konnte sie nicht umhin, ein wenig zurückzulächeln. Außerdem hatte sie auf einmal das schreckliche Gefühl, sich ausgesprochen albern benommen zu haben.
»Tut mir leid, dass ich ... na ja, dass ich Sie in die Weichteile getreten habe«, stammelte sie. »Aber ich dachte, Sie wären einer von diesen Killern, die hinter mir her sind.«
Er wurde sofort ernst, ließ eine Hand sinken, mit der anderen umfasste er ihr Kinn.
»Nein, ich bin hier, um Sie zu beschützen.«
»Ach ja, McLeod? Warum haben Sie sie dann gefesselt?«
»Agent Murray, es ist mir eine Ehre ...«
Adam hob nur die Braue, und der andere Vampir verstummte. Er war nicht in Stimmung für Förmlichkeiten.
Ganz und gar nicht.
»Ich warte auf eine Antwort, McLeod.«
Der Agent band Lea eilends los. »Es gibt keine Entschuldigung, Agent Murray, ich ...«
»Doch, die gibt es!« Lea sprang auf und zog ihr Kleid, das auf dem Stuhl hochgerutscht war, glatt. Adam wünschte, er hätte nicht den blutigen Kratzer an der Außenseite ihres linken Oberschenkels gesehen, aber das hatte er. Wut keimte in ihm auf. Was zum Teufel hatte der Kerl mit ihr angestellt?
»Treten Sie vor die Türe, McLeod, sofort.«
Die Gesichtszüge des Agenten erstarrten, doch er machte einen gehorsamen Schritt Richtung Türe. Gut, wenigstens war er sich seines untergeordneten Rangs bewusst.
Dann brauchte er ihn nicht umzubringen, sondern nur ordentlich zu vermöbeln.
Lea sprang vor und stellte sich zwischen die beiden. Sie drückte die Hände an Adams Brust, um ihn von dem andern fernzuhalten. »Adam, das ist einfach lächerlich! Er wollte das nicht! Er hat doch bloß versucht, mich zu beschützen.«
Adam schaute McLeod an, und seine Wut verrauchte ein wenig. Trotzdem, es änderte nichts an der Tatsache, dass der Agent seine Mission nicht erfüllt hatte. Zu versuchen, jemanden zu beschützen, war zu wenig. Entweder man tat es oder man kam nicht sehr weit in diesem Job.
Er schaute Lea an. »Hat er dir wehgetan?«
Sie blinzelte. Er konnte förmlich sehen, wie sich die Rädchen in ihrem Gehirn drehten.
»Nein«, sagte sie dann.
»Doch«, widersprach Agent McLeod.
Lea fuhr aufgebracht zu ihm herum. »Wollen Sie, dass er Ihnen in den Arsch tritt, Agent McLeod?!«
Agent McLeod zuckte mit den Schultern. »Ich hab's vermasselt. So ist das nun mal bei uns.«
»Ach ja? Bei ›uns‹ also? Dann sind Sie auch ein Vampir?«
Lea rang die Hände, dann ging sie zum nächstbesten Sofa und warf sich darauf nieder, beide Männer ignorierend.
Ein solches Verhalten hätte Adam sich normalerweise nicht bieten lassen, doch mittlerweile war ihm der Gedanke gekommen, dass Agent McLeod vielleicht doch nicht so viel Schuld traf. Immerhin hatte er es hier mit Lea zu tun ... Und verletzt schien sie ja nicht zu sein.
»Nun ja, vielleicht habe ich ein wenig übereilt reagiert.
Lea scheint ja nichts passiert zu sein.«
McLeod nickte dankbar.
»Das ist nicht witzig, Liam!«
Adam schaute zu Lea hin, die mit verengten Augen zum anderen Sofa schaute.
»Ich weiß nicht, Agent Murray, vielleicht ja doch. Ich furchte, sie muss sich den Kopf gestoßen haben, als ich sie gefesselt habe.« McLeod sah schon wieder höchst besorgt zu Lea hinüber.
»Nennen Sie mich Adam; und Sie können nichts dafür, glauben Sie mir.« Er seufzte. Wie etwas erklären, das man selbst nicht versteht? »Lea bildet sich ein, sie könnte mit Geistern reden.«
Und so viel stimmte schließlich. Das bildete sie sich tatsächlich ein.
McLeod fiel der Kinnladen herunter. »Geister? Von Verstorbenen?«
»Von welchen sonst?«, bemerkte Lea. »Zwei davon sind zufälligerweise gerade anwesend, und sie treiben mich in den Wahnsinn. Klappe, Liam! Ich kann ja mein eigenes Wort nicht mehr verstehen!«
Adam machte sich nichts weiter draus. Soweit man sich an solch bizarre Umstände gewöhnen konnte - er gewöhnte sich an sie. Außerdem hatten sie schon zu viel Zeit verloren. Er nahm die Bierflasche vom Sofatisch, wo er sie beim Hereinkommen abgestellt hatte, und reichte sie, vorsichtig am Hals packend, dem Agenten.
»Da sind Fingerabdrücke drauf, die müssen untersucht werden.«
McLeod nickte und nahm die Flasche ebenso vorsichtig entgegen. »Ich kenne unseren Mann bei der schottischen Polizei persönlich. Werde mich gleich drum kümmern.«
Adam trat beiseite, um McLeod ziehen zu lassen, dann ging er zu Lea, die sich noch immer mit ihren Geistern herumstritt. Er musste herauslinden, warum diese Killer hinter ihr her waren, aber zunächst musste er sich um seine Wunde kümmern. Das Einschussloch war bereits wieder zugewachsen, und er spürte die Kugel schmerzhaft in seiner linken Schulter. Drei von denen waren noch nicht gefasst, McLeod im Moment nicht verfügbar. Er durfte kein Risiko eingehen, er musste fit bleiben.
»Adam?«
Adam blieb stehen. Sein Magen krampfte sich bei Leas Anblick hungrig zusammen. Er hatte zwar erst heute früh Blut getrunken und normalerweise hätte das für eine ganze Weile gereicht, aber die Wunde und der Blutverlust ...
Er bewegte seine verletzte Schulter, spürte den unangenehmen, schmerzhaften Druck der eingeschlossenen Kugel.
»Ja?«
»Erklärst du mir jetzt endlich, was los ist?«
Sie sah besorgt und etwas ängstlich aus, aber das musste warten: zuerst seine Schulter. »Gleich«, sagte er kurz angebunden. Dann nahm er sich das Messer, das neben der Obstschale auf der Anrichte lag, ging ins Schlafzimmer und von dort ins Badezimmer.
Einen Blick in den Spiegel über dem Waschbecken werfend zog er Jacke und Hemd aus. Das Einschussloch in beiden Kleidungsstücken war zwar nicht groß, aber dennoch unübersehbar. Er ließ die Sachen zu Boden fallen und lehnte sich über das marmorne Doppel-Waschbecken. Die Stelle, wo die Kugel steckte, konnte er so nicht sehen, er musste sich also auf seinen Tastsinn verlassen.
Das Messer in der Rechten, hob er den Arm über die linke Schulter und fuhr mit der stumpfen Spitze über seine Haut. Ja, dort war die leichte Erhebung, dort steckte die Kugel. Er holte tief Luft und packte das Messer fester.
Da platzte Lea herein. »Was machst du da?!«
»Verschwinde.«
»Nein! Ich lasse nicht zu, dass du dir was antust!«
Adam ließ seufzend den Arm sinken. Ihre Besorgnis war ... rührend, aber fehl am Platz. »Ich habe nicht vor, mir was anzutun, also geh jetzt bitte ins Wohnzimmer zurück. Es dauert nicht lange.«
Lea verschränkte dickköpfig die Arme. »Mary hat gesagt, du willst dich mit dem Messer schneiden. Erst sagst du mir, warum. Sonst gehe ich nicht.«
Schon wieder dieser wie beiläufige Hinweis auf ihre »Geister«.
»Lea«, sagte er warnend. Keine Reaktion. Was war nur los mit dieser Frau? In diesem Moment fiel ihr Blick auf seine abgelegten Sachen auf dem Fußboden. Er verzog das Gesicht. Jetzt würde sie vermutlich gleich schreiend davonlaufen oder in Ohnmacht fallen.
»Dann bist du wirklich angeschossen worden?«
Bevor er etwas sagen konnte, war Lea hinter ihn getreten. Mit flinken Fingerspitzen tastete sie seinen Rücken ab, ein viel zu angenehmes Gefühl, wie Adam widerwillig feststellte. Fast war er froh, dass eine Kugel in seinem Körper steckte. Der Schmerz lenkte wenigstens ab ...
»Die Wunde ist ja schon zugeheilt!«, stieß sie ehrfürchtig hervor, als sie die kleine Wölbung ertastet hatte.
Adam drehte sich zu ihr um. »Ja, genau. Und deshalb muss ich die Wunde noch mal aufschneiden und die Kugel rausholen. Jetzt weißt du, warum, also ab mit dir.«
Lea zuckte nicht mit der Wimper. Ihre hellgrünen Augen bohrten sich in die seinen. »Diese Kugel war für mich bestimmt?«
Verdammt. Er wollte nicht, dass sie deswegen Schuldgefühle bekam. Aber vielleicht war es besser, dass sie die Wahrheit erfuhr, damit sie kooperierte.
»Ja.«
Auch dies nahm sie unbewegt auf. »Die haben mir eine Wanze angehängt und dann nur auf mich gezielt?«
So war es. »Ja.«
Adam betrachtete ihr Gesicht im Spiegel. Weder Angst noch Wut waren darauf zu erkennen, ihre Miene war undurchdringlich. Ganz gewiss nicht die Reaktion von jemandem, der erfährt, dass man es auf sein Leben abgesehen hat. Ob sie noch unter Schock stand?
Lea seufzte. »In diesem Fall bleibt mir nichts anderes übrig, als dir zu helfen, die Kugel rauszuholen.«
»Nein«, sagte er sofort. Was war bloß los mit dieser Frau?
Konnte sie nicht mal einen Moment lang normal sein?
Jetzt wollte sie auch noch eine Kugel aus seiner Schulter holen! »Kommt gar nicht in Frage!«
»Bitte.«
»Nein!«
»Versuch mal, mich davon abzuhalten!« Sie funkelte ihn wütend an.
Adam runzelte die Stirn. »Lea, zwing mich nicht, dich rauszuschmeißen.«
»Adam, zwing mich nicht, dir in den Hintern zu treten!«
Adam nahm seinen Nasenrücken zwischen Daumen und Zeigefinger, eine Geste, die, seit er sie kannte, offenbar verstärkt nötig zu werden schien.
»Wenigstens das bin ich dir schuldig!«, bat sie.
Also gut. Die Zeit war knapp, und er musste bei vollen Kräften sein. Er reichte ihr das Messer.
»Aber nur damit du's weißt: Du schuldest mir gar nichts!«
Er kehrte ihr, nicht ohne ein leises Unbehagen, den Rücken zu. Er hatte gerade einer Irren ein Messer in die Hand gedrückt und ihr den Rücken zugekehrt. Selbst wenn sie nicht verrückt war - vielleicht war sie ja doch gefährlich?
Was wusste er schon über sie. Vielleicht hatte sie etwas mit diesem geplanten Diebstahl zu tun? Ein ausgeklügeltes Verwirrungsmanöver? Unwahrscheinlich. Aber ob nun verrückt oder kriminell, jemanden wie sie mit einem Messer hinter sich stehen zu lassen ... war nicht gerade sein brillantester Einfall gewesen.
»Da ich dich schon nicht loswerden kann, erzähl mir wenigstens, was genau heute passiert ist, damit wir rausfinden, warum diese Mistkerle hinter dir her sind.« Das lenkte sie wenigstens ab.
Sie tastete vorsichtig die Erhebung ab, um Größe und Lage der Kugel abzuschätzen. »Also, ich bin zum Friedhof gegangen, als ich heute früh von hier weggegangen bin«, begann Lea. »Ich habe Liam abgeholt, und wir sind zusammen in die Cameo Bar gegangen. Da treffe ich mich immer mit Mr. Thomson zum Kaffeetrinken.«
»Wer ist Mr. Thomson?«, fragte Adam und schaute sie im Spiegel an. Die Zunge im Mundwinkel, tastete sie die Wunde ab.
»Ein guter Freund von mir; ich blättere immer die Zeitung für ihn um, dann kann er sie in Ruhe lesen. Und dann machen wir zusammen das Kreuzworträtsel. Ich sage ›wir‹, aber eigentlich löst er immer alles alleine. Er ist unheimlich clever. Ich schreibe nur die Lösungen rein. Ist manchmal ziemlich ärgerlich.«
Adam hätte gerne mehr über Mr. Thomson erfahren.
So, wie sie über ihre Geister redete - es war so echt. Ob es Schizophrenie sein konnte?
»Wie heute, zum Beispiel«, fuhr sie fort und hob das Messer. »Ich wusste, die Antwort war ›Wien‹, aber er hat's gesagt, bevor ich es konnte. Hat mich ganz schön geärgert.«
Den Blick auf einen Punkt über seiner Schulter gerichtet machte sie sich bereit. Sie wirkte etwas ängstlich, aber kein Zittern lag in ihrer Stimme, als sie nun weitersprach.
»Dann bin ich heimgegangen; meine Wohnung liegt gleich um die Ecke. Dort hat Mary schon auf mich gewartet. Ich habe Mrs. Bilen angerufen und bin ins Whighams gekommen. Das war's.«
Die Messerspitze bohrte sich in seine Haut, und Adam umklammerte den Beckenrand.
»Das war alles?«
Er konnte hören, wie ihr Herz hämmerte, während sie den Druck der Messerspitze erhöhte. Die Kugel wurde dabei ein wenig zur Seite geschoben. Ein brennender Schmerz durchzuckte ihn.
»Das weiß ich, Liam!«, schimpfte sie. »Mensch, du gehst mir auf die Nerven!«
Adam tat sein Bestes, um sich seine Schmerzen nicht anmerken zu lassen. Die Messerspitze war stumpf und wollte nicht in seine Haut eindringen.
»Adam, Liam hat recht. Wir brauchen ein schärferes Messer.«
Aber sie hatten schon viel zu viel Zeit verloren. Adam legte die Hand auf Leas Hand und drückte zu. Das Messer fuhr in seine Haut hinein, und Blut rann über seinen Rücken.
»Schnell!«, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Er konnte im Spiegel sehen, dass Lea kreidebleich geworden war, und hoffte nur, sie würde nun nicht einfach umkippen.
Aber Lea war aus härterem Holz geschnitzt. Sie begann, mit der Messerspitze in der Wunde herumzustochern. Es brannte wie Feuer. Adam biss die Zähne zusammen.
»Ich krieg sie nicht raus.« Lea schaute ihn im Spiegel an.
»Dann versuch's mit den Fingern«, befahl er. »Komm schon, Lea, bevor die Wunde wieder zugeht.«
So schnell ging das natürlich nicht, aber er wollte nicht, dass sie zu viel Zeit zum Nachdenken hatte. Und es funktionierte.
Aus Angst, die Wunde noch einmal aufschneiden zu müssen, schob sie einen Finger unter die Kugel und stieß sie heraus. Auf Adams Stirn standen dicke Schweißtropfen.
Aber die Schmerzen vergingen rasch wieder, und auch die Blutung hörte nach drei Atemzügen auf. Adam drehte sich um und schaute Lea an. Ihre Hände und die Ärmel ihres Kleids waren blutig. Mit blassem Gesicht hielt sie ihm die Kugel hin.
»Was soll ich damit machen?«
Adam nahm sie, wickelte sie in Toilettenpapier und warf sie in den Abfalleimer.
»Was du jetzt brauchst; ist eine heiße Dusche«, sagte er und drehte das Wasser auf. Sofort begannen sich Dampfschwaden im Bad auszubreiten.
Lea sagte nichts.
»Also, ich geh dann mal.« Adam betrachtete sie, hoffte auf irgendeine Reaktion, aber sie starrte nur seine Brust an.
»Danke für deine Hilfe«, ergänzte er. Immer noch nichts.
Er hasste es, nicht zu wissen, was in ihr vorging. Endlich schaute sie zu ihm auf.
»Keine Ursache. Ohne dich wäre ich jetzt tot.«
Sie hob die rechte Hand in etwa die Höhe, wo sich auf dem Rücken seine Wunde befand. Dann maß sie, auf welcher Höhe das bei ihr war. »Siehst du?«
Die Kugel wäre in ihren Hinterkopf eingeschlagen.
Ohne zu überlegen, ohne zu fragen, woher dieser Impuls kam, nahm Adam sie in seine Arme. Sie schlang ihre Arme um seinen Oberkörper und barg ihr Gesicht an seiner Brust.
»Keine Angst, Lea. Ich werde dich beschützen. Ich werde nicht zulassen, dass dir was passiert.«
Und in diesem Moment wusste er, dass das die Wahrheit war. Er wusste nicht, ob diese Frau Wahnvorstellungen hatte oder warum Killer hinter ihr her waren, aber das Leben warf sie immer wieder zusammen, und er wusste, nein er fühlte, dass es seine Aufgabe war, sie zu beschützen. Egal, ob die Lösung morgen in Edinburgh eintraf oder nicht, er würde sie nicht im Stich lassen.
Ihre Feinde waren soeben seine Feinde geworden.
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